Hallo,
Yusuf hatte so eine Blockade im ersten Schuljahr. Er wollte einfach nicht. Die ersten drei Monate hat er nichts gemacht und den Unterricht geflissentlich ignoriert. Er lag mit dem Kopf auf dem Tisch und wartete, daß es vorbeiging. Selim und ich fanden das ziemlich zum Verzweifeln, der Lehrer hingegen sah das ganz gelassen und meinte, wir sollten abwarten. Das taten wir, und nach drei Monaten war es vorbei.
Das hilft dir natürlich nicht weiter, wenn du noch vier Monate hast bis zur Versetzung und nicht die geringste Garantie, daß sich was ändert. Wißt ihr denn, woran es liegt? Als Yusuf im vierten Schuljahr war, hatte er nochmal so eine Motivationsstörung, tat nichts und interessierte sich für nichts, da sind wir zu einer Psychologin gegangen. Wir wollten einfach herausfinden, woran es lag. Aber bevor sie es herausfinden konnte, war Yusuf schon aus seinem Tief heraus und nahm am Schulleben wieder teil. Ich denke aber, daß das für euren Kleinen vielleicht gar nicht schlecht wäre. Man weiß ja nie, woran es wirklich liegt. Wenn er eigentlich alles begreift, aber das partout nicht zeigen kann, wäre es doch eine Strafe, ihn sitzen zu lassen. Den Stoff kann er, und am eigentlichen Problem ändert es nichts.
Elisabeth, die immer und ewig eine Matheblockade hatte, hat ein Logopäde geholfen. Er hat versucht, herauszufinden, WO die Blockade sei; er war von Anfang an überzeugt, daß es nicht das Verständnis der Mathematik selbst, sondern etwas anderes sei. Im Endeffekt kam er zu dem Schluß, daß sie Konzentrationsstörungen habe und total abblocke, wenn sie sich nicht konzentrieren könne. Ein Klassenkamerad von ihr hatte ein ähnliches Problem wie dein Zweitältester - er verweigerte jegliche Mitarbeit im Unterricht bis zu einem Punkt, daß die Lehrer ihn nicht mehr bewerten konnten, weil einfach keine Leistung zum Bewerten da war. Das war in der dritten Klasse einer Waldorfschule. Seine Mutte ging ebenfalls von Pontius zu Pilatus, bis sie zu dem Schluß kamen, er brauche mehr Struktur und ein traditionelleres Lehrverständnis. Jetzt ist er nach zwei Schulwechseln auf einer sehr anspruchsvollen, sehr traditionellen flämischen Schule und fühlt sich wohl wie der fisch im wasser - das genaue Gegenteil zu der Lösung, die Elisabeth half.
Vielleicht ist es einfach nicht der richtige Schultyp? Nicht der richtige Umgangston in der Klasse? Vielleicht schüchtert deinen Jungen etwas ein, was er nicht zum Ausdruck bringen kann. Nur mit dem Kleinen reden, hilft da nicht viel, denke ich. Wenn es etwas wäre, was er erkennen, analysieren und rationell erklären könnte, hätte er das sicherlich schon getan. Es ist vielleicht irgendeine Angst oder Blockade, die tiefer sitzt, und über die er sich selbst nicht wirklich Rechenschaft geben kann. Und die Lehrer scheinen ja auch ratlos zu sein. Darauf mit "Sitzenbleiben" zu reagieren finde ich etwa so angebracht wie eine Tracht Prügel - "dann siehst du schon, daß du lernen kannst!"; man muß doch erst einmal wissen, was das Problem ist, bevor man zu einer Maßnahme greift!
Alles Liebe,
Eva
Eva
mit Yusuf (10.12.199
und
Amalia, Friedrich und Elisabeth (07.08.2002)
Seid umschlungen, Millionen
Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder, überm Sternenzelt
Muß ein lieber Vater wohnen!